Samstag, 15. Juli 2017

Snorri: „Tote können nicht getötet werden“ - Odin revisited Teil 2


Betrachten wir zunächst den Ruf, den Odin weithin genoß, seinen Namen sozusagen: er steht in eindeutigem Zusammenhang mit  dem Wortstamm wods, das bei den Goten, die engen Kontakt mit den Hunnen hatten, wahnsinnig, besessen bedeutet. Seine indische Entsprechung Rudra hatte verschiedene Kriegerrotten unter seinem Kommando, die alle ebenfalls im Zustand des wod waren. Aber dies nur nebenbei, denn Odin zeichnet im Unterschied zu allen anderen Göttern aus, dass er, wenn er nicht wandert, und warum er das tut erklären wir später, immer ein Heer von gefallenen Kriegern befehligt, die Einherjer, die zu bestimmten Zeiten als Wilde Jagd durch die Lüfte ziehen und bei Menschen und Vieh Angst und Schrecken verbreiten. Diese jungen gefallenen Krieger besitzen höchste Lebenskraft, megin, und existieren weiter in der Blüte ihrer Jugend und können nicht mehr in der Schlacht sterben. Daraus besteht der Walhall-Mythos zu großen Teilen und dieser wird und wurde in diversen Umzügen mit Masken und Pferden dargestellt. Durch die Masken verwandelten sich die Teilnehmer in die toten Ahnen und die Pferde, die ebenfalls real oder als Attrappen und Masken an den Umzügen teilnahmen. Wölfe und Hunde sind ebenfalls enge Attribute Odins und weisen unserer Meinung nach recht deutlich aber natürlich nicht beweisbar auf ein Nomaden- bzw. Steppenleben hin, dass ohne Pferd und Hunde undenkbar wäre. Welch ein Unterschied zu dem großem Kriegergott neben Tyr in der genuin germanischen Mythologie, nämlich Thor, der dafür bekannt ist, dass er immer ehrenhaft und alleine kämpft für Götter und Menschen.

Ein kurzer Exkurs noch zu den Pferden: eine falsche Anzahl an Beinen wie bei Sleipnir, Odins Reitpferd, weist immer auf den Status als Dämonenpferd hin. Pferde haben oft einen Zusammenhang zum Totenkult, Tote können als Pferde im Umfeld der Wodansreligion erscheinen und wurden real bevorzugt für Odin geopfert und er ist tatsächlich jener berühmte Schimmelreiter aus der Literatur, denn Odin „holt sich Menschen“ die dann von ihm besessen sind und er handelt durch sie. Odins Beinamen wie Hangatyr und Hangagud verweisen auf die heidnische Sitte, durch den Strick Hingerichtete als Odinsopfer in Bäume zu hängen, was einen wichtigen Bestandteil der odinischen Religion ausgemacht haben soll und er ist weithin als Schutzpatron von Kriminellen und Landstreichern bekannt, zudem steht er in Verbindung zu Exekutionsformen, die ekstatisch ausgeführt wurden, wie dem Blutadler.
Das Volk, das bis in die Neuzeit noch von der odinischen Religion oder nennen wir es Wodanskult beeinflusst waren, hatten vor allem Angst vor der Wilden Jagd und suchten deren Folgen zu umgehen, denn wer hat schon gerne einen Einherjer oder Geräderte und Erhängte in seiner Wäsche hängen, wie folgender mittelhochdeutscher Spruch nahelegt:




Wutanes her und alle sin man,
di di reder und die wit tragen
geradebrecht und erhangen
ihr sult von hinnen gangen


Wotan Heer und alles seinen Mannen / die die Räder und die Hölzer tragen / Gerädert und gehängt / sollt ihr hinnen gehen .Höfler 1934, S. 117



Dies führt uns zu seinen damals lebenden Anhängern oder besser gesagt, die ihm Geweihten, nämlich den Berserkern und den Ulfhednar, sowie den Starkadern, um nur die Wichtigsten zu nennen. Diese waren dann in der damaligen Realität, übrigens genauso wie Ihre Gegenstücke im Iran und Indien, z.B. Rudras Wilde Jäger, die wie Odins Krieger in der realen Welt ekstatische Krieger und Tänzer oftmals ausser Kontrolle waren, alles andere als sozial verträgliche Krieger, die für die Gemeinschaft kämpften, sondern wurden in den skandinavischen Gesellschaften mehr und mehr marginalisiert in der Geschichte, bis sie schließlich, besonders die Berserker als Angeber und parasitäre Plünderer galten und verbannt wurden. Aber sie waren auch die Elitetruppen der Könige, mit dem Manko der Besessenheit und Unberechenbarkeit, aber auch höchster Kampfkraft.  Die Berserker gelten heute aber eher als geistig Verwirrte, die sich selber Odin zuordneten. Die Ulfhednar waren dagegen wilde Wächtertruppen, Wolfskrieger bzw. Wargs., auch an den Grenzen. Das Berserkerbild bleibt demnach unklarer, als Kris Kershaw dies gerne hätte. Diese sahen sich sicherlich als unbedingte Gefolgsleute Odins, waren aber vielfach zu weit "draussen", um sogar in diesem Bereich des germanischen Heidentums akzeptiert zu werden. Sie sind auch nicht mit den Einherjern gleichzusetzen. Der Autor ist sicherlich kein Odinist und sieht diesen Gott keinesfalls als den Allvater an, möchte aber doch dieser Gleichsetzung Berserker=Odintruppen widersprechen. Ein Allvater war wahrscheinlich nicht Bestandteil des Germanischen Heidentums bis zur Völkerwanderungszeit. Man mühte sich in heidnischen Kreisen imme weiter mit den Christen ab, versuchte auch Jesus / Joshua zu inkorporieren und so könnte auch ein Allvater entstanden sein. Mitunter liefen auch Heiden zu christlichen Gottesdiensten, weil Jesus /Joshua einfach als neuer Gott unter Vielen empfunden wurde und man kam den Christen auch entgegen, vielleicht auch mit der Bezeichnung Allvater. Dass aber ein ekstatischer Gott ein Obergott sein könnte, ist ausserordentlich selten anzutreffen und eher unwahrscheinlich. Die "Geschenke Odins" sind immer von dubioser und vielschichtiger bis zweilichtiger Natur und dabei werden mir sicherlich diejenigen beipflichten, die mit diesem Gott viel zu tun hatten. Trotzdem bleibt natürlich die Zuordnung ekstatischer Krieger in Männerbünden zu Odin bestehen. 
Bild: Berserker beisst in seinen Schild, 12. Jhdt.

Es kreischten die Berserker – dies war ihre Schlacht,
die Wolfshäute schrien und schüttelten ihre Waffen

Odins Heer, die Einherjer sind tot und kämpfen (angeblich) ehrenhaft für die Welt, die Götter und die Menschen gegen den Fenriswolf und Midgardschlange in Ragnarök während die Krieger, die sich ihm geweiht haben in Midgard und dort kämpfen, diese Eigenschaften genau nicht hatten oder zumindest sehr unberechenbar und zwiespältig waren die Starkadr, skandinavische ekstatische Krieger im Dienste Odins. Dabei soll nicht gesagt werden, dass die Berserkr, Ulfhednar und Starkadr nicht auch gute Dienste taten und halfen Schlachten zu gewinnen, aber es folgte doch häufig ein übles Ende vor allem für das einfache Volk, dass mit ihnen zu tun hatte. Wir wollen aber nicht behaupten, dass alle „wilden Krieger“ der Stämme wie der Chatten und Harier diesem Bild entsprachen, diese Analogie halten wir für zweifelhaft. Wir sind davon überzeugt, dass die speziell Odin geweihten Spezialtruppen wie Berserker, Ulfhednar und im gewissen Rahmen Starkadr eine andere Kategorie ausserhalb der germanischen Sozialordnung darsstellten. Denn diese waren in jeder Hinsicht unberechenbar und zwiespältig, sie entsprachen nicht den Gesetzen von Friede, Ehre und Heil, sie sind hinterhältig, angeberisch, taugen zu nichts als zum Berserkertum, werden mnachmal sogar mit Werwölfen vergleichen und müssen aus dem Hinterhalt getötet werden. In Vikings taucht bei allen Schlachten der Serie nur ein Berserkr auf, ein Auftragskiller, der heimtückisch töten soll. Ihn auszuschalten, indem man ihn mit einer List ausweidete, kostete einen der stärksten jungen Krieger fast das Leben.
In der Edda beschreibt Snorri die Haltung von Thor und Odin (Harbard) um man höre und staune: weibliche Berserker:



Thor sprach:

Berserkerbräute
bändigt’ ich auf Hlesey:
Das Ärgste hatten sie getrieben,
betrogen alles Volk.

Harbard sagte:
Unrühmlich tatest du, Thor
dass du Weiber tötetest.

Thor sprach:
Wölfinnen waren es,
Weiber kaum.

Was wir uns merken sollten ist: Odins Heer ist immer tot und wenn es seine lebenden Männerbruderschaften sind, sind sie von einer eigentümlichen Doppelgesichtigkeit, so wie er selber und geben sich ekstatischen Besessenheitsriten hin und werden vom Volk gefürchtet und später immer mehr verbannt.

Es ist erst Odin, der den Krieg überhaupt in die Welt bringt, er ist es der den Vanenkrieg anzettelt und die Schlacht mit dem Ger eröffnet, den er über sein Heer wirft. Die oberflächliche Untersuchung seines Namens vertieft die Düsternis noch, die ihn umgibt: uodanaz bedeutet „Herr der Dämonen“ und das gotische wods bedeutet wahnsinnig, besessen. Gleichzeitig gibt es aber die Wortstämme wie das altenglische wodbora, die Dichter und Prophet bedeuten und sich im altnordischen odr spiegeln, die geistig inspirierte Aktivität bedeuten und positiv zu deuten sind. Aber Odin „holt sich auch Menschen“ wie wir wissen und oft mit genau diesen Geschenken wie „odr“, die sich dann aber schnell in bizarre Befehle von ihm verwandeln und subjektiv Unglück bringen. Deshalb ist alles was von Odin kommt mit größter Vorsicht zu betrachten, gerade weil es so wirkungsvoll ist. Auf seinen Wanderschaften als Odin der Wanderer taucht er wohl auch dann auf, um sich nach verlorenen Schlachten zurückzuziehen und dann heilt er manchmal wie Rudra, wobei die Frage nicht beantwortet werden kann, wie er heilt und ob er wie Rudra die Krankheit nur weiterschickt. 


Odin als Harbard in Vikings inszeniert Siggis Tod, einschliesslich Walküre




Die meisten dieser Aspekte finden wir in anderen indoeuropäischen Kulturen wie dem Iran und Indien wieder mit fast derselben Konnotation. In Indien sind es Rudra, der im Mahabharata einmal als einäugig beschrieben wird, und seine Maruts, die mythischen, paragöttlichen Prototypen der Männerbünde, den vratyas, die eine Eidgemeinschaft bildeten und im Sommer auf Raubzug gehen und zur Regenzeit im Herbst in die Dörfer zurückkehren. Diese werden oft als parasitäres Räubergesindel verschrieen, gleichzeitig sind sie aber wichtiger und notwendiger Teil vieler Feste und Zeremonien als ekstatische bewaffnete Sänger, Tänzer, Kämpfer und Krieger, auch mit rituellen Prostituierten im Gefolge. Andere bezeichnen sie als wandernde Asketen, aber diese Bedeutung kann allenfalls als marginalisierte Nebenbedeutung akzeptiert und quasi als unbedeutend verworfen werden. Vratya bedeutet eindeutig „Bund“ was einem wanderende Asketen recht entgegengesetzt erscheint. Wir verlassen uns hier auf die deutsche Indologie.
Die maruts, eine Gruppe vedischer Untergottheiten, manche nennen sie auch Dämonen, denn sie werden auch als wild, gefräßig und launisch beschrieben befinden sich in Rudras Gefolge und stellen eine deutliche Parallele zu den Einherjern dar, die nicht zu übersehen ist.
Rudra, der später von den vedischen Hindus quasi mythologisch bezwungen, kontrolliert und in Shiva transformiert wird, da er den vedischen Prinzipien nicht genügen konnte,wird auch auch ganapati, Herr der Scharen oder vratapati, Herr eines kultischen Bundes genannt und ist der oberste Führer der Totenseelen. Rudra ist der Herr der vratyas, der ekstatischen Kriegerbünde Indiens, aber Indra ist der Herr der grossen Jahreswechselfeste der vratyas, scheint aber in der Bedeutung für den Kriegerbund der vratyas in der Praxsi weit hinter Rudra zu stehen, die direkt kultisch mit Rudra verbunden sind.
Die verschiedenen Krieger-Rotten Rudras befinden sich alle im Zustand des wod, der kultischen Besessenheit. Er ist Gott und Führer der vratyas, der besessenen Krieger im Bunde, zu denen aber, im Gegensatz zu den Germanen, auch häufig Frauen und sakrale Prostituierte zählten. 
Noch einige Fakten zu Rudra: Der rot-blaue Bogenschützengott kommt aus dem Wald, ausserhalb der vedischen Gesellschaft, seine nächsten Verwandten sind reissende Wölfe (siehe Odin und der Kult um Hunde und Wölfe, der ihm nahgesteht. Tyr, der germanische Hauptgott bis zur Völkerwanderungszeit tötete übrigens Garm, den Hunde-Wächter nach Helheim, eine interessante Anti-Parallele zum Odinskult um Hunde)  und er wird als ausgesprochen launig und bösartig beschrieben und lediglich in einem Teilaspekt, der später als Shiva grösste Bdeutung gewinnt als gutmütig und heilend. Er sendet und heilt Krankheiten wie Odin und man opfert für und betet und an Rudra, indem man bittet, die Krankheit an jemand anderen zu senden. Man sitzt auch im Namen Rudras magisch bis dämonisch an Wegkreuzungen und zaubert, siehe seidr.

Für uns ist wichtig, dass es bei beiden indoeuropäischen Phänomenen eine Art Geisterheer gibt, dass einem unberechenbaren, ekstatischem Gott mit kontroversen Eigenschasften gehört und eine reale Entsprechung in Form ekstatischer Kriegerbünde, die aber nicht nur kontrovers, sondern immer mehr als sozial abträglich beschrieben werden in der Geschichte. Wir glauben, dass dies auch in den Fehlentscheidungen begründet liegt, die Odin und Rudra ihren Gefolgsleuten öfters als Geschenke überlassen und in Kriegsniederlangen resultierten. Dienste für Odin resultieren sehr oft im Tod, aber auch für die Lebenden um den Odinisten können die Folgen unangenehm werden:  So verspricht Odin bsweilen die Kinder seiner Gefolgsleute Anderen als "dienstbare Geister" oder PseudosklavInnen, was wiederum seine Nähe zur Kultur der Hunnen, der Reiternomaden andeutet.

Ähnliches findet man auch im Iran, im haoma Kult mit aesma, einen Aspekt des mithra, der sich durch Zorn, Wut und Raserei auszeichnet und die Ablehnung der zoroastrischen Gesellschaft erfuhr wegen dieser Eigenschaften mit angeschlossenen Verhaltensweisen und diesen marginalisierten.

Für uns interessant ist aber, dass Shiva in Indien einen grandiosen Aufstieg in hinduistischen Pantheon erfuhr und zu den höchsten Göttern mit Vishnu und Brahma zählt, die bis heute das „ewige Bharat“ erhalten, dass sich durch eine erstaunliche Kontinuität auszeichnet und dabei nicht alle wilden und ekstatischen Aspekte Rudras verlor, sondern magisch kontrolliert und sozialverträglich verinnerlichte. Rudratempel gibt es unseres Wissens in Indien nicht oder kaum noch,  aber einige shivaitische Sadhus  tragen „Rudras Tränen“ als Armband bis zum heutigen Tage.
Odin jedoch gilt trotz des kompletten Untergangs des germanischen Heidentums bis auf einige Reste in Volksmärchen und im Brauchtum immer noch als Göttergründer und Göttervater und vom Gott Tyr, den er verdrängte, hörte man immer weniger, dabei stellte dieser einen ausgleichenden, staerkenden und erhaltenden  Einfluss dar. 


Die bedeutendsten Wissenschaftler gehen quasi unisono davon aus, dass Tyr bis zur Völkerwanderungsszeit der Hauptgott war und für das Recht und die Wahrung der Thingordnung stand. Odin als ekstatische Figur diente wohl der Erlangung von Kriegsglück durch Täuschung der Feinde und sein Kult breitet sich vom nordwestlichen Niederrhein aus.

Wir vermuten darin eine Absicht der heidnischen germanischen Könige, vor allem in Skandinavien, die auf der Odinsreligion ihre Herrschaft gründeten und.....verloren und deshalb nahtlos das Christentum zur Sicherung ihrer Herrschaft verwendeten. Ob Rudra als Odin über die Hunnen wieder zu uns kam, scheint uns sehr wahrscheinlich angesichts der Verhältnisse der damaligen Zeit,  aber beweisen können wir es nicht, deshalb sind wir für Kommentare und Freveleien danḱbar. 

Anmerkung : es handelt sich hier um eine wissenschaftliche Darstellung. Wenn wir von Berserkern, Odin, Ulfhednars, Rudra, Vratyas  etc schreiben, bezieht sich dies ausschliesslich auf historische und mythologische Gestalten und Gruppen und nicht auf heutige Rockbands, Reenacter , Odinisten etc. , noch wollen wir andeuten, dass diese heutigen Personen sich so verhalten wie ihre historischen Namensgeber.  

Mit grösstem Dank für spirituelle Hinweise zu Odin und seiner Rolle an brahmanische Priester in der BRD und auch an Rune Björnssen in Norwegen. 


Quellen, u.a.
Bellinger: Knaurs Lexikon der Mythologie
Kris Kershaw: Odin
Hauer: Der Vratya
Goerge Dumezil: Gods of the ancient Northmen
Otto Höfler:  Kultische Geheimbünde der Germanen 
Karl Helm

Bilder:


Maruts Steinrelief: Linteau. Provenance: Cambodge, province de Kompong Thom, Sambor Prei Kuk S7. Style de Sambor Prei Kuk. 1ère moitié du 7ème siècle.Détail montrant le bord du linteau et un Marut, dieu de la tempête et du vent. Musée Guimet, Paris. 
Beide gemeinfrei

Drawing of Týr and Fenrir from the Migration Period golden bracteate from Trollhättan, Sweden.
By Gunnar Creutz - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35138182