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Copyright wie auf alle Texte im Blog: Ronald Kaiser
Teil 1: Begriffsbestimmung und Tätigkeit der Seidhleute
Zunächst vorweg: Seidhr ist eine eng zusammenhängende Gruppe komplexer und nicht
ungefährlicher Rituale, die in den nordischen Sagas hinreichend genug
beschrieben wurden, um sie zu definieren. Die vielerorts verbreiteten Behauptungen über angebliche fehlende Beschreibungen von Seidr entbehren teils den Grundlagen - sofern man aufhört, sich auf deutsche Quellen zu beschränken und bereit ist, weniger ausgetretene Wege zu gehen. Frühere Quellen als die Sagas und
Snorris Ynglingasaga um den Begriff Seidhr bzw. altnordisch Seiðr gibt es mE nicht. Deshalb betrachten wir es als ein skandinavisches Phänomen der späteren Eisenzeit, dass, wie wir in Teil 2 sehen werden, viel mit dem Kulturaustausch mit finnischen Gruppen zu tun hat. Ob es diesen Seidhr oder Seidr vor 2000 Jahren oder später in Südgermanien, sprich Deutschland gegeben hat, wissen wir nicht. Eher nicht, denn es gab bei uns nie eine insgesamt derart moralisch anrüchig beschriebene Form der Zauberei, eher im Gegenteil eine große Sympathie für die Seherinnen/ Zauberinnen/ Valas bis weit in die nachheidnische Zeit hinein, die ein hohes Ansehen genossen. (obwohl es natürlich auch bei uns zu heidnischer Zeit die Verfolgung und Tötung von SchadenszauberInnen gegeben hat, aber diese besaßen wohl nicht eine eigene "Berufsgruppe" wie im späteren Skandinavien.)
D.h. ganz klar und eindeutig beschränkt sich unser Wissen über das Phänomen Seidhr/ Seidr / Seiðr auf Sagas u.ä. Zeitdokumente, die mehrheitlich im 9. und 10. Jahrhundert in Skandinavien spielen und oft im 12.-13. und 14. Jahrhundert aufgezeichnet wurden.
Und es gibt
wesentlich mehr als die ansprechende und häufig zitierte
Eiriks Saga Rauda Kap. 4 mit der
Seherin Thorbjörg, die in Grönland die Zukunft bzw. die Ernten vorausgesagt hat
und sich den Vardlokkur vorsingen ließ. Diese etwas "idealtypische" Postkarte von Seidhr ist nur eine unter vielen Quellen über Seidhr.
Laut anderen Quellen waren Todesfälle und Schlimmeres (andauernder Wahnsinn galt z.B. als schlimmer), bei
den Praktizierenden und deren Zielpersonen durchaus nicht unüblich –
Söldnerrisiko bzw. als bekannt empfundener magischer Tod des Opfers.
Dubois bestimmt Seidhr als ein heidnisches Ritual, das vor
allem in Not- oder Bedrohungssituationen im Auftrag des oder der Klienten durch einen
Spezialisten durchgeführt wurde. Hierzu wurden Geister zur Vorhersage oder zur
Manipulation anderer Menschen eingesetzt.
Ich muss alle
enttäuschen, die hier Anweisungen und Rezepte erwarten. Öffentliche Seidr Tätigkeiten oder Kontakte widersprachen bei germanischen Sippe mit ihren Geboten Ehre, Friede
und Heil den Umgangsformen, (mit teilweiser Ausnahme des
öffentlichen Orakel-Seidhr) In erheblich grösserem Maße als der Kontakt mit
Schamanen bei anderen Völkern. (Schamanen wurden vom Stamm anerkannt, lebten mit dem Stamm oder mehr ausserhalb, aber trotzdem in einer Sonderrolle, Seidhleute waren i.d.R. echte Aussenseiter) Benutzt wurden sie meist heimlich dennoch - oft von den Mächtigen.
Seidmen und Seidkonas waren oft gut bezahlte
Magiesöldner im Neidingstatus, so Grönbech in
Kultur und Religion der Germanen, die oftmals im Auftrag Schaden anzurichten
hatten, neben ehrenhafteren Tätigkeiten wie der Voraussage von Ernten und
Lebensläufen. Durch das soziale Stigma unterschieden sie sich maßgeblich von anderen Spezialisten wie Spákonas, Valas etc.
Wir finden es nicht ungefährlich, dass eine so spezialisierte und tiefgreifende magische Technik wie Seidr in Workshops für jedermann angeboten werden könnte. Eine gewisse Ausnahme mag dabei für den Orakel Seidr nach Paxson und Blair gelten, trotzdem empfehle ich dringend die Warnungen in Jenny Blairs Buch "Seidr" zu lesen und zumindest den "Helweg" komplett zu ignorieren. Siehe auch
Teil 2 für Details hierzu.
An dieser Stelle soll deshalb auf Grundlage der vorhandenen
internationalen wissenschaftlichen und parawissenschaftlichen Literatur sowie der Sagas der
Schleier um den nebulösen Begriff Seidr / Seidhr gelüftet werden. In Teil 2 folgen einige Tips, was man besser nicht machen sollte. (In Teil 2, sozusagen als Cliffhanger ;-))
Ganz zu Beginn steht der berühmte Abschnitt aus der Ynglinga
Saga Kapitel 7
Odin war in einer Kunst erfahren, die größte Macht verlieh – man nennt
sie Magie / Seidr -, und er übte sie selbst aus. Sie verlieh ihm die Gabe,
Schicksale der Menschen oder noch zukünftige Ereignisse vorauszusagen, ja den
Menschen auch den Tod, ein Unheil oder eine Krankheit zu bescheren. Schließlich
vermochte er durch sie jemandem Verstand und Kraft zu nehmen und sie anderen zu
verleihen. Allerdings ist mit einer derart ausgeübten Magie viel Schande (ergi)
verbunden, sodass sich die Leute
schämten, sie zu betreiben. Deshalb lehrte man diese Kunst vornehmlich die Priesterinnen.
Vorab wird beschrieben, dass Freyja diese Kunst = Seidhr erst den
Asen lehrte, was das weibliche und vanische Charakeristikum am Seidhr zum
ersten Mal unterstreicht. .
Aufgrund dieses isolierten Textabschnitts kam es zu einigen Mißverständnisssen über die Definition von Seidr, vor allem im nicht-wissenschaftlichen Umfeld von Asatru-Vereinen. So wird in Kurt Oertels Aufsatz
„Seidr und Völventum“ gesagt:
"Das Wort "seiðr" ist im Altnordischen ganz eindeutig der völlig
umfassende Oberbegriff für Magie insgesamt und fasst genau all jene
(oft sehr unterschiedlichen) Praktiken zusammen, die wir auch heute
unter dem Begriff "Magie" verstehen. Es bezeichnet keine spezielle
magische Unterabteilung, Sonderdisziplin oder Einzeltechnik.."....
Das Übel an der Wurzel ist hierbei die Verwendung lediglich philologischer und etymologischer Herleitungen - also keine modernen Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften wie die Religionsethnologie, Ethnohistorie, Kulturanthropologie und auch die moderne Skandinavistik und Religionswisenschaft.
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Exkurs:
Ein weiteres Mißverständnis ist die eher phantastische "Rückspiegelung", Seidhr als "Queer Phenomenon" heute einzustufen, das nur an soziologisch/ anthropologischen Instituten in GB, USA und Skandinavien entstanden sein kann und einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält.
Den einzigen vagen Hinweis auf eine Art Rollentausch bietet Odins weibliche Verkleidung und Lokis Spott darüber im Zusammenhang mit dem Begriff ergi.
Und es sollte explizit gesagt werden können: Seiðr war niemals, unter keinen Umständen, ein altnordisches Codewort für "Gay-Szene". Und als Exkurs in den sexuellen Codex der Nordmänner und -frauen sei hier erlaubt zu sagen, dass als einziger homosexueller Akt der zwischen einem Sklaven als passivem und einem freien Mann des Klans als aktivem Teil keine Konsequenzen nach sich ziehen musste, mesit geschah dies mit christlichen Sklaven. Alle anderen Spielarten der Homosexualität unterlagen gewissen Maßregelungen und einem eventuellen Ehrverlust. Die Vorstellung, dass Seidr hauptsächliche als "libertäre Spielwiese" in einer ansonsten "rigiden maskulinen Gesellschaft" o.ä gedient hätte ist kaum nachvollziehbar. Es gibt aber vage berichte über "schlechte und verrufene Frauen" die Seidr praktizierten wie auch Männer, aber sexuelle Akte werden diesbzüglich nicht beschrieben
Seidr ist ergi, daran besteht nach den Quellen kein Zweifel, aber der Status ergi rührt nicht oder nur in geringen Masse von einer angeblichen sexuellen Vorliebe her, sondern wegen der moralischen Anrüchigkeit der magischen Handlung an sich in Bezug auf die nordische Klanethik des offenen Kampfes und der Gebote von Friede, Ehre und Heil.. Diese Anrüchigkeit galt sogar als ansteckend, denn der "Freund eines Zauberers" zu sein zog bereits den Status "ergi" nach sich. Der ergi Begriff in den alten nordischen Gesellschaften ist ausgesprochen komplex und regulierte das Verhalten Aller auf beträchtliche Weise. Auf keinen Fall kann er auf die sexuelle Ebene beschränkt werden.
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Dubois schreibt in seinem hervorragenden Werk "Nordic
Religions in the Viking Age" in Kapitel 7 S. 136, dass sich die oben genannten
negativen, im nordischen Kontext „weibischen“ Verhaltensweisen des
Schadenszauberers im Seidhr sich diametral von Odins verehrten magischen Künsten
unterschieden, die zu Beginn von Kap. 7 der Ynglinga Saga beschrieben werden
und die nicht Priesterinnen, sondern ausdrücklich Priestern gelehrt werden:
Wenn Odin seine
Gestalt ändern wollte, lag sein Körper wie schlafend oder tot; er selbst aber
war ein Vogel oder ein wildes Tier, ein Fisch oder eine Schlange; und er konnte
in einem Augenblick in ferne Länder in seinen oder Angelegenheiten anderer
fahren. Dazu vermochte er durch Worte allein Feuer zu löschen oder die See zu
besänftigen; auch konnte er die Winde drehen, nach welcher Seite er wollte. Ein
Schiff namens Skidbladnir besaß er, mit dem er über weite Meere fahren und das
er wie ein Tuch zusammenfalten konnte. Stets hatte Odin Mimirs Haupt bei sich,
und das sagte ihm mancherlei Neuigkeiten aus anderen Welten. Bisweilen erweckte
er Tote aus der Erde oder setzte sich unter Gehenkten nieder. Daher nannte man
ihn auch Herr der Geister und Gehenkten. Zwei Raben hatte er gezähmt, die zu
ihm sprachen, und die flogen weit übers Land und brachten ihm manche Botschaft. Durch all dies wurde er wundersam weise; (WEISE, nicht ERGI)
Odin wusste von allen
vergrabenen Schätzen und wo sie versteckt waren, und kannte auch die Lieder,
wodurch sich ihm die Erde öffnete, auch Berge, Felsen und Grabhügel; auch
wusste er durch Magie allein alles zu bannen, was darin wohnte. Er ging auch
selbst hinein und nahm sich, was er wollte. Wegen all dieser Künste war Odin
berühmt; seine Feinde fürchteten ihn, doch seine Freunde vertrauten fest auf
seine Zauberkraft und ihn selbst. Die
meisten seiner Künste lehrte er die Opferpriester; und sie kamen ihm an
Weisheit und Magie am nächsten.
Wir sehen hier, dass Odin durchaus auch "schamanische" Techniken beherrscht, wie Gestaltwandlung, "Krafttierverbindung", Reisen und Vorhersage etc., aber diese Techniken werden als weisheitsfördernd und positiv, und nicht verachtungsvoll bezeichnet - als einem Priester würdig. Also muss der Seidhr etwas anderes gewesen sein, als diese
geschätzten, ja verehrten magischen Künste Odins und KEIN Oberbegriff für
Magie. Mit Seidhr war laut altisländischem Originaltext die Beschimpfung
ERGI
verbunden, eine todeswürdige Beleidigung für weibisches, feiges, hinterhältiges Verhalten und in geringerem Maße auch passive Homosexualität wie weibliche Nymphomanie und genau
deshalb wurde Seidr gemäss nordischem Sippenkodex auch den Frauen beigebracht,
nicht den (etablierten) Männern einer Sippe. Eine Beleidigung mit dem Begriff ERGI war so übel, dass sie unter allen Umständen gerächt werden musste, u.a. wurde ein Holmgang obligatorisch. Für Männer der Sippe, die keine Neidinge waren, galt das
Gebot der Ehre und des offenen Kampfes – demnach ein Ausschlusskriterium um
(schwarzes) Seidhr zu betreiben, eine Technik „weibischer Hinterlist“,
ERGI und meist
um anderen zu schaden. Die männlichen Seidhmadr waren wohl auf die eine oder andere Weise im Status der Neidingschaft, wie
Grönbech auf S. 340 beschreibt: "Das Charakteristische des Zauberers ist die boshafte Ziellosigkeit, die seine ganze Handlungsweise kennzeichnet, im Gegensatz zu dem Manne, der in allem weiss, was er tut. Wer keine Ehre besitzt, hat keinen Willen im menschlichen Sinne; ....aber dann gibt es eine andere Art von Willen oder Trieb....das eher Zauberei genannt werden kann".
In der umfassendsten Arbeit über Seidr, die bisher erschienen ist, definiert Dag
Strömbäck in "Sejd: Textstudier i nordisk religionshistorie" Seidhr als
„eine Art primitiver Magie um anderen Menschen zu schaden
(schwarzer Seidhr), oder um die Zukunft vorauszusagen, sowie das Wetter und die
Ernten (weisser Seidhr).“ Schwarzer Seidhr zielt direkt auf das Leben und die
spirituelle Gesundheit des Opfers, indem es Angst, Melancholie und
Rastlosigkeit hervorruft.
Dubois unterstreicht dieses als eine der Hauptaufgaben der
professionellen Seidkonas und Seidmadrs, was zum üblen Ruf des Seidhr auch im heidnischen
Skandinavien beigetragen hat. Auffällig ist dabei das Fehlen jeder Ethik und Moral, die den Seidr ingesamt, also auch den weissen Seidhr umgibt. Je nach
Bedarf und Bestechung reichen die Dienstleistungen der Seidhkonas und Seidhmadr
von der – übrigens auch schon zwiespältig betrachteten Zukunftsvorhersage bis
zur magischen Tötung über viele Zwischenstufen der magischen Manipulation.
Schon die gegen Bezahlung erreichte heimliche Kenntnis über die eigene
Zukunft und die Anderer, also der weisse Seidhr, genoss bisweilen eine bestimmte
Anrüchigkeit, da es einen „unehrenhaften Vorteil“ über andere darstellte. Man sollte bei diesen Bewertungen immer den Sippenkodex (Friede, Ehre, Heil) der heidnisch-germanischen Gruppen im Auge behalten, der ein Individuum ausserhalb der Sippe nur als Neiding kannte, also eher gar nicht in der Sippe. Sich einen heimlichen Vorteil über Andere und damit auch Sippenmitglieder zu verschaffen, rückt denjenigen gefährlich nahe an die Neidingschaft, die sich anbahnende Verbannung. Eine positive Bewertung erfuhr sicher der öffentliche Orakel-Seidr, um die Sippe oder Gruppe vor Schaden zu bewahren.
In der Vatnsdoela Saga lädt der Bauer Ingialdr eine
Seidhkona auf die norwegische Insel Hefniey ein, um bei einem Fest die Zukunft
der Teilnehmer vorauszusagen. Die öffentliche Voraussage bei einem Fest scheint
ein gängiger Bestandteil des „weissen Seidhr“ gewesen zu sein, im Gegensatz zum
eher heimlichen „schwarzen Seidhr“ Als der Sohn Ingialdrs dieses ablehnt, da er
die Zukunft nicht vorher wissen, sondern erleben möchte, überrumpelt ihn die
Seidhkona und sagt die Zukunft auf Island gegen seinen Wunsch voraus. Interessanterweise gerät der Sohn hierdurch in den Bann der Seidleute und sucht diese später immer wieder auf. Auch in
der Örvar-Odds Saga und Tattr af Norna-Gesti
wird ausdrücklich von Personen berichtet, die die Vorhersage ablehnen,
weil sie einen unerwünschten Eingriff in ihr Wyrd fürchten.
Über den dänischen König König Frodi wird in der Hrolfs Saga
und in Saxos Gesta Danorum berichtet, dass er eine Seidhkona beauftragt habe,
um seine Neffen aufzuspüren und zu töten, die ihrerseits zuvor eine Seidhkona
beauftragt hatten, den rechtmässigen König zu töten und sich seitdem verstecken
mussten. Die Seidhkona ist natürlich in der Lage, die Neffen aufzupüren, verrät
aber deren Aufenthaltsort nicht, weil sie zuvor bestochen wurde und redet sich
mit einer feindlichen magischen Attacke heraus, die sie gehindert habe, die
Neffen aufzuspüren.
Sehr eindeutig war auch die rachsüchtige Königin Gunnhildr in Egils Saga Skall-Grimssonar. Sie verwendet Seidhkünste,
um den Geist des Skalden Egill zu verwirren. Ebenso benutzt der Isländer
Thorgrimmir Seidhr um seinen Gegner Gisli in Verwirrung zu stürzen, der daraufhin
ruhelos umherirrt und nur noch auf einer Insel Ruhe finden kann, in der Gisla Saga Surssonnar.
Auch in der Ynglingasaga selber werden die üblen
Auswirkungen durch professionell angeheuerte Seidhr-Söldner beschrieben: die finnische
Königin Drifa lässt dem schwedischen König Vanlandi nicht nur den Geist durch einen
gekauften Seidhmadr verwirren, sondern letztendlich sogar einen Incubus senden, der den
König besetzt und tötet.
In der Laxdoela Saga wird eine Gruppe Seidhr-Profis
beschrieben, die von den Hebriden in Island landen und dort massive Unruhe
mittels Seidhr stiften und magische Diebstähle begehen. Beim Allthing zur Rede
gestellt, errichten sie schnell eine Plattform und singen dort die für den
Seidr so wichtigen „galdr“ Lieder. So wird ein Sturm entfacht, der den
Ankläger durch eine Flut tötet. (es handelt sich dabei nicht um dasselbe wie im
sonst bekannten Begriff Galdr, sondern um andersgeartete Gesänge, die aber doch
Ähnlichkeiten mit dem herkömmlichen Galdr haben sollen - aber andere Intentionen.)
Dies ist in Norwegen auch heute noch ein Thema. So konnte
sich der Autor in einem Fjord in Westnorwegen davon überzeugen, dass die
norwegische Regierung zum Anlaß der Ersäufung von 120 Seidhmadr im 8. Jahrhundert
eine offizielle Ehrentafel aufgestellt hat, die massiv mit Beschimpfungen von Vorbeireisenden verziert. war. Eine moderne Form des
Runensteins von Skjern, der einen Fluch gegen Seidhleute enthält ;-)) Auch diese Söldner wurden im
Auftrag mit einem Schiff geschickt, entfachten Nebel und Sturm, um eine Siedlung anzugreifen und
wurden besiegt und sofort ersäuft. Man hat dort die üblen Auswirkungen des
schwarzen Seidhr bis heute nicht vergessen - man denke nur daran, dass Erik Blutaxt und Harald Schönhaar ihren Verwandten, den Seidhmadr Roegnvaldr Rettilbeini mit 80 anderen Seidhmen verbrannten um eine Machtübernahme der Seidhleute zu verhindern:
"Wer staunt drob, daß wir zaubern, Bäurinnen und Bauernblut, hext Rögnvald Retiilbein doch, Haralds hoher Sohn, in Hadeland!" Diese Mitteilung über Roegnvaldrs an seinen Vater Harald war sein Todesurteil. Aber bitte möge niemand diese Worte der Wahrheit für eine Aufforderung halten, gegen Seidleute vorzugehen, wie auch immer. Hier werden nur historische Tatsachen berichtet.
.
Ein wichtiger Bestandteil des schwarzen wie weissen Seidhr
ist der „süsse Gesang“, beispielhaft in der wohl berühmtesten Darstellung weissen
Seidhrs in
Eiriks Saga Rauda mit der Seherin Thorbjörg. Der Vardlokkur ist so
süss, dass er die wissenden Geister anlockt, die die Zukunft voraussagen
können. Genauso süss klingt aber auch der schwarze Seidhr-Gesang von Kotkell
und Grima aus den Hebriden, der nur dazu dient, einen Mann aus einer anderen
Sippe zu töten. Sie errichten einen Seidjallr, eine hölzerne Plattform auf dem Hausdach
und singen und als das Opfer vom Gesang betört heraustritt wird er vom Seidhr
getroffen und fällt tot um, so die
Laxdoela Saga. Und natürlich wurde für den
Mord gut vom Auftraggeber bezahlt.
Ebenso wird Thorbjörg für ihren weissen Seidhr gut bezahlt
in Grönland. Auch sie sitzt auf einem Hochsitz, dem Seidjallr, und auch sie braucht den süssen
Gesang, um die Geister zu rufen. Allerdings soll sie nur die Zukunft für die
bedrohte Gemeinschaft voraussagen. Das grundlegende Ritual bleibt aber
dasselbe: Spezielle Kleidung, Stab, Geister, Gesang, Geisterkontakt. Diese Form des Orakel-Seidhr, der sich vom Ergebnis her vom Spá
kaum
unterscheidet, wird heute wieder
rekonstruiert, z.B. von Jenny Blain und Dianne Paxton – sicher eine ehrenhafte, aber nicht ungefährliche Aufgabe, wie Jenny Blain zu berichten weiss. Ob Thorbjörg allerdings den "Helweg" beschritt mag bezweifelt werden, denn wer von den Alten wäre denn so vermessen gewesen, sich mit einer Riesin und ihrem Territorium einzulassen, außer viellecht den Göttern? Und nicht einmal diese können Hel ganz kontrollieren.
Kurt Oertel vertritt in seinem
Text, Seidr und Völventum, u.a. die Ansicht, dass die Zukunftsvoraussage, also Spá und Seidr
nichts miteinander zu tun hätten und behauptet weiter, dass der Seidhr
nicht für die Divination verwendet wurde. Die Seherin Thorbjörg sei gar keine
Seidkona gewesen, weil sie in der Saga Spákona genannt wurde etc. pp. Oertel sieht dabei nicht, dass sie alle Kriterien eines öffentlichen Seidhrrituals erfüllt, was in anderen Sagas erwähnt wird. Der Kontakt mit den Geistern durch Gesang, Hochsitz, Stab, Kleidung z.B., nebenbei wird ihre Tätigkeit sogar in der Erik Saga Rauda eindeutig als als "
fremja seiðinn", also Seidr betreiben bezeichnet. Zudem
sprechen die Quellen, die wir oben zitiert haben eine eindeutige Sprache, dass Seidhr für Divination
und
Schadenszauber benutzt wurde. Es ist auch kaum anzunehmen, dass es genau definierte Unterscheidungen zwischen Vala, Völva, Spákona, Seidkona gab, an die man sich zu halten hatte, bestimmend waren wohl angewandten Techniken und der ethische Überbau der Praktizierenden und die sind auch in der beschriebenen Szene mit Thorbjörg eindeutig Seidhr. Allerdings ist aus der sehr positiven Beschreibung der Thorbjörg eventuell zu schliessen, dass sie allgemeines Ansehen besass - sie wurde auch ausdrücklich als Spákona bezeichnet. Zudem kannte sie nicht den Vardlokkur, den Seidrgesang, sondern musste eine Frau in der Gemeinde suchen, die den Vardlokkur kannte. So könnte es durchaus sein, dass sie eine Spákona war, die sich hier erfolgreich im Orakel-Seidr versuchte.
Quellen:
Dubois: Nordic
Religions in the Viking Age
Dag
Strömbäck: Sejd: Textstudier i nordisk religionshistorie
Grönbech:
Kultur und Religion der Germanen
Folke Ström: Nordendisk Hedendom
Mircea Eliade: Schamanismus und archaische Extasetechnik
Sir Sigurd: Seidhr, a scholarly study of the art
Jenny Blain: Seidr
Vatnsdoela Saga
Örvar-Odds Saga
Tattr af Norna-Gesti
Hrolfs Saga
Saxos Gesta Danorum
Egils Saga Skall-Grimssonar
Gisla Saga Surssonnar
Ynglingasaga
Laxdoela Saga
Eiriks Saga Rauda
Quelle mit starken Einschränkungen:
Kurt Oertel: Seidhr und Völventum
Bilder:
-Tjängvide Image Stone: Odin mit Sleipnir, gemeinfreie Lizenz
-Skjern Runenstein, Dänemark, mit Fluch gegen Seidhleute, gemeinfrei
-Skjern Runenstein mit Fluch gegen Seidhleute, Zeichnung, gemeinfrei